Zwischen unendlich weiten Ufern leben wir

Kunstverein Linz, 2015

Die definitiv letzte Ausstellung in den bisherigen Räumen des Kunstverein Linz gestaltete Rana Matloub, geboren 1975 in Bagdad, im Oktober 2015. Im Januar wird aller Voraussicht nach mit dem Abriss des großen geschichtsträchtigen Gebäudes begonnen, ein ehemaliges Kloster und Schwesternwohnheim und später Schulgebäude, in der auch viele Linzer die Schule besuchten – und der Kunstverein ist auf der Suche nach neuen Räumen.

Die Künstlerin geht wie auch sonst oft in ihren Werken auf den Ort und die Situation ein – auch ganz konkret, in dem sie ein historisches Foto in die Installation einbezieht, das sie mit einer Zeichnung ergänzt, oder indem sie einen Löffel aus Zeiten des Schwesternwohnheims ausstellt, der im Haus gefunden wurde. Andererseits ist die Installation weit mehr als ein Kommentar zur aktuellen Situation des Kunstvereins, sondern indem sie sehr allgemeine Bilder wählt, eröffnet sie einen großen Denkraum – und die Situation selbst wird zur Metapher für einen Zustand des menschlichen Daseins, den alle Menschen kennen – Zeiten des Übergangs. Das Dazwischen ist ihr Thema, wie ja auch schon im Titel deutlich wird.

Von Widersprüchlichkeiten scheint dieses Dazwischen geprägt zu sein. Im großen Dampfer unterwegs über das Meer zum neuen Ufer – das ist vielleicht der Wunsch oder die Illusion. Dass dieser Dampfer aus lauter Papierbooten (mit Noten und Zeichnungen) besteht ist vielleicht die (innere) Realität. Und noch dazu sind diese Boote nicht ganz: die meisten sind mehr oder weniger entfaltet, sie würden gar nicht schwimmen. Sie werden erst noch zu Booten oder sind es mal gewesen. Ermöglichen diese inneren Melodien und inneren Bilder den Übergang?

Ganz konkret könnte ich mir z.B. Auswanderer auf dem Schiff nach Amerika vorstellen. Äußerlich ist diese Reise ziemlich sicher, es ist immerhin ein großes und stabiles Schiff. Aber selbstverständlich ist die innere Realität eine unsichere. Das ist nicht die Deutung dieser Arbeit (die es so ja gar nicht geben kann), sondern ein weiteres Bild oder Beispiel für diese viel allgemeinere Situation des Dazwischen.

Ein zweites Schiff auf dem Boden? Wie das Schiff, das sich auf dem Wasser spiegelt. Vielleicht ein Hinweis auf die Illusion (die Spiegelung) oder auf das Wasser selbst (das spiegelt), über das das Schiff fährt.

Im Raum gibt es neben dieser raumgreifenden Arbeit mehrere Zeichnungen direkt auf die Wand gezeichnet, schemenhaft. Man muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, was da ist. Eine Frau geht mit ausgestreckten Armen, scheint zu balancieren. Eine andere hängt an Luftballons – auch nicht das sicherste Fortbewegungsmittel. Bzw. geht das überhaupt? Tragen so wenig Luftballons denn eine Frau?

Zwei Stühle stehen vor einer Wand. Aus dieser Entfernung könnte man so eine Bleistiftzeichnung gut erkennen. Aber an dieser Stelle ist gar keine Zeichnung. Bitte Platz nehmen, was für ein Bild sehen Sie?

Sehr markant und wirkungsvoll die beiden in die Wand gefrästen Arbeiten. Eine mit Regenschirm – mich erinnert sie an das Kinderspiel, dass man bei Wind den Schirm ganz hoch hält, so dass Wind hineinfällt und Auftrieb entsteht, und am liebsten würde man abheben, was natürlich nicht möglich ist. Was heißt hier Kinderspiel – ich mache das immer noch, wenn ich mal einen Schirm dabei habe. Dieser Schirm ist dazu noch zum großen Teil herunterruntergefallen beim Gravieren in die Wand, beim Festhalten für Ewige Zeiten (bis das Gebäude abgerissen wird …).

Die andere Arbeit – besonders beliebt bei Ausstellungsbesuchern, der Hirsch. Von vorne, schaut einem direkt ins Gesicht. Er passt nach Linz am Fuße des Siebengebirges, wo es an manchen Häusern Geweihe zu sehen gibt (und vielleicht noch in manchen Häusern einzelne Hirschbilder aus der guten alten Zeit). Mit einem kurzen Geweih – noch im Wachstum. Für die Kämpfe der Brunftzeit noch nicht geeignet. Angreifbar und verletzlich. Und verletzt, geradezu zerfleddert, auch wenn man es von weitem nicht sieht – da erscheint es wie eine Fellstruktur. Denn die Tapete löst sich auch hier von der Wand. Mehrere Schichten von Tapete kommen hervor, aus alten Zeiten, wie Sedimente, Schichten von Persönlichkeit, mehrere Schutzmäntel.

Im zweiten, kleineren Raum mit Säule in der Mitte und Tafel an der Wand, den der Kunstverein zum ersten (und letzten) Mal für eine Ausstellung nutzen konnte, sind gerahmte Zeichnungen zu sehen, sowie zwei Arbeiten auf dem Boden. Da ist mit gelbem Isolierband ein Stern auf den Boden geklebt. Er erinnert an einen Judenstern, ist aber nicht sechseckig (sondern achteckig – ein arabischer Stern), und dazu perspektivisch verzerrt, uneindeutig. Darüber, an einer langen Reihe von vielen kleinen Nägeln, ein Faden (bzw. eine Schnur, bestehend aus vielen Fäden), der ca. einen Zentimeter über dem Boden zu schweben scheint, was der zunächst zweidimensionalen Arbeit eine reizvolle Räumlichkeit verleiht. Die Arbeit könnte etwas mit Mustern von Ausgrenzung zu tun haben. Die sind oft nicht so eindeutig. Der Faden könnte ein Zaun sein. Dann wäre interessant, wie er verläuft: in Schleifen, das innen wird außen und das außen innen, wie beim Möbiusband.

Dann die Arbeit mit roten Fäden auf dem Boden und Skulpturen aus Papier. Was ist das auf dem Boden? Widersprüchlich: Ein roter Faden lässt sich nicht finden in dem Gewirr aus Wegen, die sich gegenseitig immer wieder unterbrechen. Aber sind das nur einzelne Wege? Das ganze scheint auch einem Muster zu folgen, ist ein Ausschnitt aus einem orientalischen Muster, Arabesken, wie sie z.B. in der Alhambra oder in anderen Palästen und Moscheen zu finden sind. Diese Muster gelangten in den muslimischen Reichen zu besonderer Bedeutung, da ja bildliche Darstellungen nicht erlaubt waren. Sie sind auch Ausdruck einer tatsächlichen mystischen Haltung: Sie beschreiben ein komplexes Gewebe, ein Muster, das kaum zu durchschauen ist. Erkennbar wird es höchstens, wenn man einen größeren Bereich in den Blick nimmt. So ist ja vieles im Leben und insbesondere in Übergangszeiten. Das Muster auf dem Boden ist aber nur ein kleiner Bereich, ein großes Ganzes in seiner Schönheit ist da nicht zu erkennen. Das ist leider oft die Situation, in der wir uns befinden.

Gleich daneben die Skulpturen aus Papier, aus Buchseiten eines Kinderbuches. Der Text, die Geschichte, ist so nicht mehr lesbar. Stattdessen ist jede Seite für sich eingerollt. Zusammen bilden die Seiten eine geschlossene Einheit. Wie ein Mensch von außen betrachtet. Seine Geschichte ist nicht lesbar, höchstens stückchenweise. Ein Muster ist zu sehen von außen, schön zu betrachten, aber da bleibt ein Rätsel. So ergänzen sich das Fadenmuster und die Papierskulpturen.

Die (fast alle) gerahmten Zeichnungen an der Wand haben z.T. einen Bezug zu diesen Skulpturen. So findet sich ein größeres Arabesken-Muster, das hilft, die roten Fäden zu lesen – aber auch da die Unterbrechungen des Musters – es ist nicht ganz richtig. Oder die Zeichnung mit Text keine Liebe/ eine Liebe: so uneindeutig wie das Leben. Ein Spiel. Nicht die schlechteste Haltung für Zeiten des Übergangs – oder auch für ein Leben zwischen unendlich weiten Ufern.

Für den Kunstverein Linz wie auch im ganz allgemein in Zeiten das Übergangs wäre eine spielerische Haltung vielleicht nicht die schlechteste.

Text: Stefan Nadolny